Informationen zu Mina LoyMina Loy (1882-1966)Schöne und intelligente Kosmopolitin, polyglotte Autorin skandalös erotischer Verse, beißender Satiren und destruktiver Elegien, progressive Erfinderin kreativer Gemäldephantasien und künstlerischer Entwürfe, all das verkörpert Mina Loy. Als eine der Protagonistinnen des europäisch amerikanischen Modernismus war Mina Loy wesentlich am geistig kulturellen Austausch aller wichtigen avantgardistischen Strömungen des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts beteiligt. Innerhalb eines Jahrzehnts (ca. 1915-1925) erwarb sie sich den Ruf einer emanzipierten Frau, mehr noch einer geradezu legendären Gestalt: “Wer, wenn nicht sie, ist die moderne Frau?” proklamierte die New Yorker Evening Sun im Jahre 1917 und erhob die Schriftstellerin und Künstlerin in den Rang eines weiblichen Prototyps des modernen Zeitalters. Von der Kunstausbildung im viktorianischen London, wo Mina Loy im Jahre 1882 geboren wurde, hin zum künstlerischen Milieu Münchens am Ende des 19. Jahrhunderts, aus den Pariser Ateliers der Bohemiens in Montparnasse in das futuristische Florenz, und schließlich von der New Yorker Avantgarde der 1910er Jahre zurück ins Paris der Lost Generation – anhand ihrer Lebens- und Arbeitsstationen lässt sich ein nahezu vollständiges Bild aller künstlerisch sowie literarisch bedeutsamen internationalen Bewegungen der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts zeichnen. Ihr Name erscheint in den schriftlichen Zeugnissen intellektueller Hauptakteure jener Zeit, die Mina Loy liebten und schätzten, angefangen bei William Carlos Williams über Ezra Pound, Gertrude Stein und T.S. Eliot. Sie ließ sich von Man Ray portraitieren und Marcel Duchamp, mit dem sie eine mehr als vierzigjährige Freundschaft verband, bewunderte ihre Kompositionen. Joyce, Freud, Brancusi, Jules Pascin sowie auch Marinetti und Papini standen ihr Modell. Die beiden Italiener, mit denen sie während ihres Florenz-Aufenthaltes in Kontakt stand, sollten sie schließlich zu humoristisch karikaturhaften Verssatiren inspirieren. Zwischen 1907 und 1916 lebte Mina Loy in Florenz und begann hier unter futuristischem Einfluss ihre ersten Gedichte zu verfassen. So übertrug sie die malerischen Theorien Umberto Boccionis in Verse, während ihre sprachlichen Experimente durchaus Anleihen von Elementen und Prinzipien der italienischen Literaturavantgarde aufweisen. In Florenz begann sie zudem an ihrem Versbuch Lunar Baedecker, welches das einzige seiner Art in ihrem literarische Œuvre bleiben sollte, zu arbeiten. Die 1923 in Frankreich erschienene Erstausgabe ist die einzige von der Autorin selbst herausgegebene Edition. Es folgten drei weitere Auflagen von Textvarianten und mit Hinzufügungen, welche vielmehr die Bandbreite von Mina Loys literarischer Produktion bis in die vierziger Jahre illustrieren. In jene Zeit datieren ihre letzten Gedichte, denn Loys schriftstellerische Aktivität sollte sich ab dann ganz auf das Verfassen von (bisher größtenteils unpublizierten) autobiografischen Romanen allegorischer Prägung konzentrieren. Ihre Poesie kann als intime Reise in die inneren Vorstellungswelten und das Unbewusste aufgefasst werden, eine Expedition ganz unter dem Zeichen des weiblichsten aller Himmelskörper, dem Mond (ital.: la luna), ein Bild welches ihre Verse von Beginn an beherrschte, wie auch der Titel ihres ersten Buches belegt (Lunar Baedecker). Parallel dazu zeichnete Mina Loy ein außergewöhnlich leidenschaftliches Portrait des modernen Künstlers in der ihr eigenen einzigartig elliptisch-pittoresken und lautmalerischen Sprache, welche ihr persönliches Vermächtnis und ihren Beitrag zur Literatur der Avantgarde des Zwanzigsten Jahrhunderts darstellt. Die neue englischsprachige Poesie, so schrieb sie selbst in einem Aufsatz, habe sich jenseits des Ozeans und nicht etwa im Ursprungsland entwickelt, denn einzig in den Straßen Manhattans, und nicht etwa Londons, oszilliere jede “Stimme im Dreiklang von Rasse, Nationalität und Personalität”. Jenes Englisch, um dessen Bewahrung sich die Professoren Oxfords so sehr bemühten, löse sich gänzlich im amerikanischen melting pot auf, um schließlich neu kombiniert “als nicht klassifizierbares Sprechen” in der modernen Literatur wiedergeboren zu werden, lebhaft und prickelnd wie Jazz im Rhythmus der zeitgenössischen Lebensart. Pound oder Williams verkörperten für sie den modernen Dichter par excellence, der es vermochte poetische Klangfarben in Form einer “Landkarte des Temperaments” zu kreieren und darauf die Regung und “Bewegung einer Persönlichkeit im Moment inneren und äußeren Ausdrucks” abzubilden. Das kurze Gedicht Songs to Joannes, welches 1917 aufgrund seiner kühnen Thematik – es handelt sich um die allegorische Beschreibung einer sexuellen Beziehung – für einen Skandal in New York sorgte, ist ohne Zweifel Mina Loys Hauptwerk und muss als eines der Schlüsselwerke der modernistischen Poesie gelten.
Zitierte Literatur: Francini , Antonella: Antologia della poesia americana (Biblioteca di Repubblica, Poesia straniera, 15), Rom 2004. Kenneth W. Fields, The rhetoric of artefice: Ezra Pound, T.S. Eliot, Wallace Stevens, Walter Conrad Arensberg, Donald Evans, Mina Loy and Yvor Winters, Ann Arbor 1968. Virginia Kouidis: Mina Loy, American Modernist Poet, Baton Rouge 1980. Roger L. Conover (Hg.), The Last Lunar Baedeker, Highlands 1982. Elizabeth Arnold, Mina Loy and the Futurists, in: « Sagetrieb », VIII, 1-2, Spring/Fall 1989, S. 83-117. Elizabeth Arnold, Mina Loy and the Avant-Garde, Chicago 1990. Elizabeth Arnold (Hg.), Insel / Mina Loy, Santa Rosa 1991. Angela Krewani, Moderne und Weiblichkeit: amerikanische Schriftstellerinnen in Paris, Heidelberg 1993. Helen Jaskosi, Mina Loy: Outsider Artist, in: « Journal of modern literature », XVIII, 4, 1995, S. 350-368. Carlo Anceschi (Hg.), Poeti nel deserto: Basil Bunting e Mina Loy, Reggio Emilia 1994. Linda A. Kinnahan, Poetics of the feminine: authority and literary tradition in William Carlos Williams, Mina Loy, Denise Levertov and Kathleen Fraser, Cambridge 1994. Carolyn Burke, Becoming Modern: The Life of Mina Loy, New York 1996. Roger L. Conover (Hg.), The Lost Lunar Baedeker: poems of Mina Loy, New York 1996. Julie Schmid, Mina Loy's Futurist Theatre, in: « Performing Arts Journal », XVIII, 1, January 1996, S. 1-7, 8-17. Maeera Shreiber & Keith Tuma (Hg.), Mina Loy: Woman and Poet, Orono/London 1998. Marjorie Perloff, Poetry On & Off the Page: Essays for Emergent Occasions, Evanston 1998. Jane Dowson, Women, modernism and British poetry 1910-1939: resisting femininity, Aldershot 2002. Antonella Francini, Mina Loy: poesie della luna, in: « Poesia », XV, 161, maggio 2002, S. 2-18. Antonella Francini (Hg.), Mina Loy. Per guida la luna: poesie e elegie d’amore, Florenz 2003. Cristianne Miller, Cultures of Modernism: Marianne Moore, Mina Loy & Else Lasker-Schüler: Gender and Literary Community in New York and Berlin , Ann Arbor 2005. Elisabeth Ann Frost, The Feminist Avant-Garde in American Poetry, Iowa City 2005. Antonella Francini , Mina Loy’s ‘Islands in the Air’: Chapter I, in: « Italian Poetry Review », I, 2006, S. 221-235. Rachel Potter, Modernism and Democracy: Literary Culture 1900-1930, Oxford 2006. “Mina Loy’s Prose Drafts: The Unfinished Script of a Modernist”, in: Ambassadors: American Studies in A Changing World, hrsg. v. Massimo Bacigalupo & Gregroy Dowling, Rapallo 2006. Alex Goody, Modernist Articulations: A Cultural Study of Djuna Barnes, Mina Loy and Gertrude Stein, New York 2007. Patricia Rae, Modernism and Mourning, Lewisburg 2007. Tim Freeborn, The Satirical Vision of Mina Loy, Ottawa 2008. Matthew Hart, Nations of Nothing but Poetry: Modernism, Transnationalism, and Synthetic Vernacular Writing, New York 2010. |