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Benedetta Cappa Marinetti (1897-1977)

„Benedetta fra le donne“ – mit diesem Schriftzug unterzeichnet Benedetta Cappa selbstironisch und kämpferisch ihre erste Veröffentlichung in der Zeitschrift „Dinamo“. Tatsächlich gilt sie als Protagonistin eines avantgardistischen, weiblichen Lebensentwurfs innerhalb der zweiten Generation des Futurismus ab 1917.

Benedetta Cappa erhält offenbar innerhalb ihrer gutbürgerlichen Erziehung pädagogischen Unterricht, was ihr Interesse an aktuellen Erziehungslehren (u.a. Montessori) weckt. Parallel nimmt sie Malereistunden bei Giacomo Balla, in dessen Atelier sie auch Anfang 1918 Filippo Tommaso Marinetti begegnet. Die aus dieser Bekanntschaft resultierende Lebensgemeinschaft und spätere Ehe, aus der drei Töchter hervorgehen, ist für beide Seiten von größtem Einfluss.

An der Entwicklung des futuristischen „Tattilismo“, der den Tastsinn als zu explorierenden Zugriff auf die Realität postuliert, scheint Benedetta maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Im zugehörigen Manifest, das jedoch 1921 lediglich unter dem Namen Marinettis publiziert wird, ähneln das dort entworfene Stufensystem zur Ausbildung der haptischen Fähigkeiten den pädagogischen Empfehlungen Maria Montessoris.

1924 erscheint Cappas erster eigenständiger Roman „Le forze umane“. Benedetta, wie sie sich nun schlicht nennt, experimentiert hierin mit dem expressiven Potenzial der Linie und formt diese zu abstrakten Einheiten („sintesi grafiche“), die dem Text gleichwertig gegenübergestellt sind. Bild und Text begleiten die Protagonistin Luciana (die eindeutig autobiographische Züge trägt) in ihrem Streben nach innerer und universeller Harmonie auf ihrem Weg durch zahlreiche Spannungsfelder und existentielle Konflikte (wie z.B. der Wahnsinn des aus dem Krieg heimgekehrten Vaters).  

Die sich hier abzeichnende Dichotomie komplementärer Begriffe wie Traum vs. Realität, Bewusstsein vs. Unterbewußtsein, Rationalität vs. Spiritualität kehrt auch in Cappas zweitem Roman „Il viaggio di Gararà“ (1924) wieder, in der die Protagonistin auf ihrer Reise durch dynamische Materie diese rational zu vermessen sucht, hierbei jedoch letztlich erfolglos bleibt.

Der in Dialogform angelegte Roman (Untertitel: “Romanzo cosmico per il teatro”) ist mit szenographischen Angaben versehen und legt somit seine gleichzeitige Inszenierbarkeit nahe, ohne jedoch tatsächlich zur Aufführung gekommen zu sein. Bereits zuvor hatte Benedetta Bühnenbilder für drei Theaterstücke Marinettis entworfen, von denen jedoch nur wenige Entwurfsstudien erhalten sind. Benedettas letzter Roman „Astra e il sottomarino. Vita trasognata” (1935) ist in einer surrealistisch anmutenden Zwischenwelt zwischen Bewußtsein und Unterbewusstsein, Traum und Wirklichkeit angesiedelt.

Die Malerei Benedettas widmet sich zunächst in der Nachfolge Ballas dynamischen Objekten in ihrer Auswirkung auf die sie umgebende Materie. Generell läßt sich in ihrer Malerei zunehmend eine Tendenz zur Abstraktion und Synthese in geometrische Formen festzustellen (vgl. die fünf monumentalen Tafeln für den Palazzo delle Poste in Palermo, 1934). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (und dem Tod Marinettis) stellt Benedetta ihre künstlerischen Aktivitäten weitgehend ein.

 

Zitierte Literatur:

Bello Minciacchi, Cecilia (Hrsg.): Spirale di dolcezza + Serpe di Fascino. Scrittrici Futuriste Antologia, Neapel 2001, S. 279-320.

Giachero, Lia: Benedetta Cappa Marinetti, in: Ezio Godoli (Hrsg.): Il dizionario del futurismo, Florenz 2002, S. 202-204.

 

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